Vom gemeinnützigen Projekt zur Institution Firma: Nikolas Groth berichtet über IntensivKontakt
IntensivKontakt wurde 2021 zunächst als gemeinnütziges Projekt mit dem Ziel gegründet, die Kommunikation zwischen Ärzt:innen, Pflegepersonal, Therapeut:innen, Patient:innen und ihren Angehörigen in Krankenhäusern zu erleichtern. Die Unternehmensidee entstand zu Beginn der Covid-19-Pandemie, als Gründer und CEO sowie Medizinstudent Nikolas Groth während seiner Zeit in der Intensivpflege den dringenden Bedarf nach verbesserten Kommunikationswegen zwischen Patient:innen, Angehörigen und Behandelnden im Berufsalltag direkt miterlebte.
Über die daraufhin entwickelte eigene datenschutzkonforme IntensivKontakt-Software und bereitgestellten Tablets können Ärtz:innen und Pflegekräfte in Krankenhäusern die Angehörigen kurzfristig und zeitsparend über den aktuellen Gesundheitszustand der Patient:innen informieren. Die Patient:innen sind im Gegenzug während der oftmals einsamen Zeit des stationären Genesungsprozesses über Diashows, Sprach- sowie Textnachrichten und virtuelle Besuche mit ihren Lieben in ständigem Kontakt. Durch die Austauschmöglichkeiten werden Depressionen, Angstzustände und Isolation wissenschaftlich nachgewiesen deutlich reduziert. Die unabhängig von dem Unternehmen seit 2022 laufende UKE-Studie „Intensivkontakt“ untersucht zusätzlich fortlaufend die Auswirkungen digitaler Patienten-Angehörigen-Kommunikation auf die psychische und physische Genesung sowie Gesundheit von Intensivpatient:innen und deren Angehörigen.
Das Enterprise Europe Network HH/SH hat mit Nikolas Groth unter anderem über die normativen, ideellen Motivationen seiner Unternehmensgründung, den Entwicklungsprozess von einem gemeinnützigen Projekt hin zu der Institution Firma in Berlin mit gegenwärtig bereits 15 Mitarbeiter:innen, ferner Kooperationspartnerschaften und die Erfahrungen mit den Beratungsleistungen sowie Netzwerkmöglichkeiten des Enterprise Europe Network gesprochen.
Welche Aspekte haben Ihre Produktidee und die Unternehmensgründung ausschlaggebend motiviert und beeinflusst?
Es ist glaube ich wichtig zu erwähnen, dass mit IntensivKontakt keine typische Gründer-, oder Unternehmens- bzw. Startup-story verbunden ist. Ich habe mich ehrlicherweise auch lange Zeit gegen den Begriff „Gründer“ oder „Startup“ gewehrt, denn IntensivKontakt ist tatsächlich ein reines Projekt aus der Praxis heraus. Ich habe über den Jahreswechsel 2020/2021 im Rettungsdienst sowie auf einer Intensivstation in Bonn gearbeitet und dort sehr viele Covid-Patient:innen über mehrere Monate gepflegt. Dort habe ich viel Einsamkeit, Isolation und generell Leid gesehen. Zum einen weil diese Patient:innen einfach sehr krank waren, aber vor allem auch aufgrund der ungewohnten Situation, in der viele junge Patient:innen, Familien, Partner:innen etc. vollkommen isoliert waren und einander überhaupt nicht sehen konnten. In einem bestimmten Fall hatten die Angehörigen verstorbener Patient:innen diese bis zu 7 Wochen zuvor nicht mehr sehen können. Ich wollte dann kurzfristig und schnell etwas gegen diese schreckliche Ausnahmesituation tun, habe Tablets bei Amazon bestellt, diese mit entsprechender Software und Programmen wie Skype ausgestattet, auf meine Station mitgenommen und angefangen, die Patient:innen mit ihren Angehörigen per virtuellen Besuchen, Videocalls, Fotos und Videos zu verbinden. Das war im Grunde die Geburtsstunde von dem damals gemeinnützigen Projekt IntensivKontakt, das wir darauffolgend auf mehrere Stationen und Krankenhäuser ausgeweitet haben.
Auch über das Abflachen der Covid-Welle hinaus haben wir festgestellt, dass Patient:innen in Krankenhäusern und ihre Angehörigen nach wie vor sehr schlecht verbunden sind. Verkaufen wollte ich die Kernidee aber auf keinen Fall, sondern das Projekt selber weiterentwickeln. Auf diese Weise entstand IntensivKontakt dann als Firma ebenso wie die IntensivKontakt-Studie, die ich parallel forciert habe. Ungefähr ein Jahr später wurde IntensivKontakt dann im April 2022 als Unternehmen offiziell gegründet. Das grundsätzliche Ziel bzw. die intrinsische Motivation besteht darin, dafür zu sorgen, dass Patient:innen und Angehörige nie wieder unter einer derartigen Isolation leiden müssen, wie dies während der Höhepunkte der Covid-Pandemie der Fall gewesen ist, bei gleichzeitigem Ausbau der Informationstransparenz hinsichtlich des Behandlungsverlaufes. Das möchten wir langfristig deutschlandweit, wenn nicht sogar weltweit etablieren.
Inwiefern haben sich der Schwerpunkt der von Ihnen entwickelten Technologie und die von Ihnen angebotene Produktpalette seit Gründungsbeginn bislang verändert bzw. erweitert?
Besonders im letzten Jahr hat sich herausgestellt, wie hoch auch der Bedarf seitens der Pflegekräfte, Ärzt:innen und Therapeut:innen ist, die Kommunikationsstruktur in den Krankenhäusern von Patient:innen zu Angehörigen effizienter und besser zu gestalten. Wir möchten die zeitliche Belastung für die Pflegekräfte durch die redundanten, sich stets wiederholenden Stationsanrufe, welche die Angehörigen im Gegenzug ebenso wenig zufrieden stellen, deutlich verringern.
Als bisher größten Pivot shift in unserer Unternehmensentwicklung haben wir mittlerweile eine Plattform für transparente, effiziente Angehörigenkommunikation und somit ein Ökosystem für die multimediale, barrierefreie und niedrigschwellige Verbindung von Patient:innen, Angehörigen und Behandelnden in Kliniken aufgebaut. Über ein IntensivKontakt-Tablet, das in dem Stationszimmer an der Wand hängt, erhalten die Ärtz:innen, Pflegekräfte und Therapeut:innen innerhalb weniger Sekunden nicht nur einen Überblick zu allen Behandlungsinformationen und Kommunikationsverläufen der jeweiligen Patient:in, sondern können ebenso beispielsweise virtuelle Besuche mit den Angehörigen starten, Sprachnachrichten aufnehmen, Fotos sowie Videos von der Patient:in machen und Diashows vorspielen.
Darauf aufbauend arbeiten wir gegenwärtig an der Erweiterung unserer Produktpalette, um Patient:innen und Angehörige von der Aufnahme bis noch weit nach der Entlassung begleiten und sie durch die Bereitstellung von zusätzlichen Informationen, wie beispielsweise zum grundsätzlichen Verhalten auf einer Intensivstation oder der automatischen Generierung eines Intensivtagebuchs zur Aufarbeitung der Erfahrungen in der Klinik, bestmöglich unterstützen zu können.
Wie bewerten Sie grundlegend den qualitativen Einfluss internationaler Geschäftspartner, Netzwerke und Fördermittel auf die Entwicklung von IntensivKontakt?
Gegenwärtig befinden wir uns in dieser Hinsicht noch am Anfang der vielfältigen Möglichkeiten. Wir haben ursprünglich über die Tutech Innovation GmbH Hamburg mit Tim Zebahl einen großartigen Kontakt des EEN HH/SH erhalten. Er ist ganz initiativ auf uns zugekommen, um uns zu unterstützen, was ich großartig fand, und hat uns sehr viele Kontakte und Informationen zu Netzwerkveranstaltungen mit nationalen und internationalen Geschäftspartner:innen, Institutionen und potentiellen Kund:innen sowie Kooperationspartner:innen vermittelt, unter anderem die MEDICA Messe in Düsseldorf. Von der MEDICA beispielsweise haben wir konkret zwei Kontakte mitgenommen. Mit einer deutschen Uniklinik davon sind wir gegenwärtig noch sehr gut in den Verhandlungen und bewegen uns voraussichtlich zum Ende des Jahres zu einem Piloten hin. Zusätzlich sind wir sind von einem Forschungskonsortium bestehend aus Kliniken, Forschungseinrichtungen und Softwareunternehmen aus 15 Ländern, geleitet vom Klinikum Süd-Dänemark im Rahmen von Horizont Europa angefragt worden. Der Fokus liegt auf den Silver Agern und dem Thema Kommunikation. Sollte das Projekt bewilligt werden, würden wir mit unserer Software als Solution Partner im Bereich der Kommunikation unterstützen.
Darüber hinaus werden wir in den nächsten zwei, drei Jahren aber noch viel weiterführender über Internationalisierung und den Unternehmensausbau im europäischen internationalen Rahmen nachdenken.
Welche Art von Kooperationspartnern suchen sie gegenwärtig bevorzugt?
Die Priorisierung würde dahingehen, dass wir IntensivKontakt jetzt zunächst relativ flächendeckend in den Krankenhäusern ausrollen. Das setzen wir dieses Jahr kontinuierlich um. Wir haben Pilotierungen mit den zwei größten Gesundheitskonzernen in Deutschland, die IntensivKontakt einführen werden, sowie mehrere einzelne Häuser, welche unser Produkt nutzen und für das kommende Jahr schon lizensiert haben.
Immer interessant sind für uns gleichgesinnte Unternehmen, die sich auf das Wohl von Patient:innen und Angehörigen fokussieren. Es gibt fast kein weiteres Unternehmen, das sich darauf konzentriert, mit seinen Produkten Angehörige in den Krankenhausprozess einzubeziehen, weil es ganz einfach nicht lukrativ genug ist. Wenn wir ein IntensivKontakt-Tablet langfristig im besten Fall in den meisten Krankenhauszimmern in Deutschland haben, dann sollte dies auf keinen Fall nur für IntensivKontakt, sondern auch für alle anderen Formen der Dokumentation genutzt werden. In der Hinsicht sind wir daher für Kooperationen mit anderen Unternehmen, die die Behandlung von Patientin:innen und Angehörigen interdisziplinär verbessern, sehr, sehr offen. Mit Blick auf die Forschung sind wir mit dem UKE gegenwärtig gut aufgestellt. Die Studie läuft bereits und befindet sich in der Antragstellung.
Wie ist der Kontakt zum EEN HH/SH zustande gekommen und welche Bereiche ihrer Unternehmensentwicklung wurden durch die Beratung des EEN besonders unterstützt?
Tim ist einfach aktiv auf uns zugekommen, worüber ich sehr froh bin, da ich das EEN vorher nicht kannte. Er ist immer am Ball geblieben und hat uns kontinuierlich Informationen zugeschickt. Auf diese Weise ist der Kontakt entstanden. Ich habe mich anfangs ehrlicherweise gefragt, ob es stimmt, dass jemand unsere Firma und unsere Idee komplett unentgeltlich unterstützen möchte, aber das ist ja tatsächlich der Fall.
Ich sehe den Mehrwert des EEN für uns noch viel deutlicher in der Zukunft. Wir müssen jetzt zunächst unser Unternehmensfundament in Deutschland etablieren, um dann darauf aufbauend im erweiterten internationalen Rahmen zu denken. Dann werden wir das Netzwerk auch noch einmal viel intensiver nutzen. Nichtsdestotrotz hatten die bisher darüber vermittelten Kontakte und Informationen bereits jetzt schon eine unverhoffte positive Wirkung und einen Einfluss, den ich in der Form nicht erwartet hatte.
Welche persönlichen und/oder fachlichen Eigenschaften müssten Gründerinnen und Gründer im Idealfall Ihrer Meinung nach vorweisen können, um die Anfangsphase der Unternehmensentwicklung erfolgreich zu meistern?
In fachlicher Hinsicht ist es in der Medizinbranche von unheimlich großem Wert, einen Praxishintergrund bzw.-bezug zu haben. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass noch viel mehr Praktiker:innen dazu animiert werden müssten, Projekte zu gründen und dabei unterstützt werden sollten. In dieser Hinsicht besteht ein unheimliches Manko in der Branche.
Ich glaube die wichtigste persönliche Eigenschaft ist wahrscheinlich, dass es erst einmal ein gewisses inhärentes Selbstbewusstsein oder zumindest ein Selbstvertrauen braucht, um nur mit einer Idee allein ein Team aufzubauen, zu leiten und dabei beständig an diese Idee zu glauben, unabhängig von möglichen Hürden. Resilienz gegenüber Widrigkeiten ist somit essentiell, ebenso wie aktives Zuhören, Aufrichtigkeit und selbstkritisches Hinterfragen. Letzteres ist besonders wichtig, wenn man jung ist und mit einem jungen, heterogenen Team zusammenarbeitet, in dem viele Wünsche und Ansprüche aufeinandertreffen. Wenn man ein Team gut führen und beschützen möchte, dann muss man auch auf andere Menschen hören können und sich gelegentlich selbstkritisch fragen, ob die Entscheidungen alle in der Form immer so richtig sind, aber zu diesen im Grundsatz dann immer stehen, sobald man sie getroffen hat.
Herr Groth, vielen Dank für dieses nette Gespräch!
Bild: IntensivKontakt, 2023